Die Abendsonne, der Kleine Goldene Saal und viele fremde Klänge und Instrumente versetzen die Zuhörer*innen zurück in das Schloss Versailles des 17. Jahrhunderts

Der Kleine Goldene Saal, in dem das Ensemble „Les Surprises“ am 21. Mai das letzte Konzert des Augsburger Mozartfestes 2023 aufführte, wurde im Programmheft mit dem weltbekannten Schloss Versailles verglichen, dem Ort, an dem die Werke von Jean-Baptiste Lully, dessen Musik auch in diesem Konzert erklingen sollte, erstmals aufgeführt wurden. Diesen hohen Ansprüchen konnte der Saal nur mit Hilfe der großartigen Zusammenarbeit zwischen der Sopranistin Véronique Gens und dem Chor und Orchester des Ensembles Les Surprises gerecht werden.

Die imaginäre Oper

Eine Oper ist per Definition „ein Bühnenstück, das Musik und Theater verbindet, wobei die Texte gesungen werden und ein Orchester die Musik spielt“. In dieser „imaginären“ Oper wurde das Theaterspiel weggelassen, doch das tat dem Gesamtwerk keinen Abbruch, sondern machte das Konzert noch interessanter. Das Ensemble und die Solistin ersetzten den Theaterteil mühelos: Alle Teile des Ensembles befanden sich während des gesamten Konzerts auf der Bühne, und indem sich immer wieder verschiedene Teile des Orchesters erhoben und wieder setzten, kamen sämtliche Instrumente zu Wort. So wirkte es, als würden sie wirklich ein Schauspiel aufführen. Die Werke des Abends stammten zum Großteil von Jean-Baptiste Lully, aber auch von seinen Schülern Henry Desmarets, Pascal Collasse, Marin Marais und seinem Rivalen Marc-Antoine Charpentier.

Atemberaubende Véronique Gens

Obwohl die unterschiedlichen Instrumente zu singen schienen, kam der eigentliche Gesang von der atemberaubenden Solistin Véronique Gens und einem neunköpfigen Chor, der sie unterstützte. Beiden gelang ein unglaublicher erster Eindruck; Véronique Gens strahlte schon, bevor sie zu singen anfing, eine unglaublich elegante und einnehmende Energie aus. Sobald sie zu singen begann, musste man immer wieder den Blick auf sie richten. Sie hatte die Wirkung der Musik voll unter Kontrolle und bestimmte fast eigenhändig die Emotionen, die vermittelt werden sollten. Auch der erste Auftritt des Chors war beeindruckend, indem die Sänger*innen während „Désirs, transports“ aus „Circée“ von Henry Desmarets unerwartet von der Empore hinter dem Publikum herab sangen. Für das restliche Konzert trat der Chor zum restlichen Ensemble auf die Bühne hinzu, und die Sänger*innen erhoben sich immer wieder für Passagen und gingen auf den Gesang der Solistin ein.

Ein Orchester aus der Vergangenheit

Während wir den Kleinen Goldenen Saal betraten und uns auf unsere Plätze setzten, beobachteten wir, wie auf der Bühne mehrere Musiker*innen ihre Instrumente stimmten. Das ist vor einem Konzert natürlich nichts Ungewöhnliches, doch bei näherem Hinsehen waren es keine Instrumente, die wir benennen konnten. Nach dem Konzert erkundigte ich mich bei zwei Musikern, deren Instrumente und die Art, sie zu spielen, mich besonders fasziniert hatten, und so erfuhr ich, dass ein Instrument des Les Surprises-Orchesters zum Beispiel eine Theorbe ist – ein Instrument, das aussieht wie eine seltsam geformte Gitarre und klingt, als befände man sich gerade auf einem Ball im Barock.

Dieses Gefühl wurde mithilfe von zwei Viole da Gamba noch unterstrichen, Instrumente, die einem Cello ähnlich sehen, aber stattdessen zu einer eigenen Instrumenten-Familie gehören.

Das waren aber nicht die ungewöhnlichsten Instrumente: im zweiten Lied überraschte nicht nur der Chor, sondern auch Ensemblemitglied Manon Duchemann das Publikum mit einem donnerähnlichen Geräusch, das durch ein goldenes Blech erzeugt wurde. Sie war während des Konzerts immer wieder für ungewöhnliche musikalische Verzierungen zuständig, und wenn man beobachtete, wie sie während der Stücke auftrat, konnte man erahnen, dass bald eine weitere klangliche Überraschung folgen würde.

Eine hinderliche Sprachbarriere?

Obwohl das Konzert auf Französisch aufgeführt wurde, ließ sich die Bedeutung der Texte mit Leichtigkeit von den Gesichtern der Künstler*innen ablesen. Véronique Gens spielte ihre Rollen hervorragend, sie blickte mal verzweifelt, mal sehnsüchtig in die Ferne, und manchmal hatte man das Gefühl, sie würde einem direkt in die Augen schauen. Die Bedeutung der Musik wurde also nicht verändert, sondern die Gefühle, die vermittelt wurden, wirkten fast noch persönlicher. Besonders war außerdem, als sich Louis-Noël Bestion de Camboulas, der Dirigent des Ensembles, beim Publikum mithilfe von Karteikarten auf Deutsch bedankte. Nach einem Konzert, das ohne das unmittelbare Verstehen der Sprache ausgekommen war, nahm ich das als besonderen Dank wahr.

„Surprises“

Das ganze Konzert über konnte man erkennen, mit wie viel Leidenschaft alle Mitwirkenden spielten. Selbst der Dirigent Louis-Noël Bestion de Camboulas sprach die Texte des Chors mit und leitete anmutig das Ensemble. Doch nachdem das eigentliche Programm beendet und ein gigantischer Applaus im Saal ausgebrochen war, begann mit den vom Dirigenten angekündigten „Surprises“ mein eigentliches Highlight des Konzerts. Bis jetzt hatten alle Musiker*innen mit Überzeugung eine Rolle gespielt, die zur Stimmung des Konzerts passen musste, doch jetzt in der „Zugabe“ war der Saal durch die begeisterten Jubelrufe des Publikums eh schon mit Energie aufgeladen, und die Mitglieder des Ensembles tauschten ihre bis dahin eher ernsten Gesichtsausdrücke nun gehen ein breites Lächeln ein. Auch die nun folgende Musik war nochmal ganz anders als alles, was bisher aufgeführt worden war, denn das Orchester klang glücklich und erleichtert, und auch Véronique Gens reflektierte diese Gefühle. Nach einer kurzen zweiten Zugabe endete das Konzert mit weiteren Jubelrufen und viel Applaus.